Frankenstein: Lichtgestalt, von dunklen Schatten umwoben

Gruselatmosphäre im Theaterraum. In einer szenischen Lesung lässt Bühnenschauspieler Christian Klischat Mary Shelleys schaurige Figuren auf der Bühne des Gymnasiums Taunusstein auferstehen, bis sie im Verlauf der Handlung vom gewaltsamen Tod dahingerafft werden. Die Oberstufenschüler unserer Schule werden Zeuge davon, wie Victor Frankenstein, in Anfällen maßloser Verblendung, Leben erschafft, um anschließend, beim Versuch, seinen Fehler zu korrigieren, ES wieder auszulöschen, selbst den Tod findet.

Klischat gelingt es mit spielender Leichtigkeit, Männer- wie Frauengestalten mit seiner Stimme Leben einzuhauchen: Victor Frankenstein, dem vermessenen Jüngling, der in seinem Hochmut die Katastrophe heraufbeschwört; seinem röchelnden Monster mit der erstaunlich sanften Stimme; dem herrischen Käpt’n Robert Walton, der den völlig verwirrten Victor Frankenstein in der Arktis rettet, dem Reiz seiner Geschichte verfällt und seine Besatzung im Befehlston von ihrer närrischen Furcht vor dem Fremden zu heilen versucht; dem stotternden, vor Angst schlotternden Steuermann; der lieblichen Elisabeth, Frankensteins Braut, die dessen Hybris mit ihrem Leben bezahlen muss; Henry Clerval, treuer Gefährte Frankensteins mit butterweichem französischem Akzent, den dasselbe Schicksal ereilt; irische Raubeine mit entsprechend hartem Ductus. Sie alle durchstreifen für 90 Minuten den Theaterraum der Schule, ganz so wie das Monster auf der Suche nach Zuneigung Mary Shelleys Kultroman durchstreift, ehe es zum mehrfachen Mörder wird und sich am Ende in völliger Verzweiflung selbst richtet.

Riesige Schatten wirft Klischat, der im Laufe der Lesung stetig zu wachsen scheint, auf den schwarzen Bühnenvorhang. Sie zittern, sie drohen, sie mahnen. Und die Schüler lauschen, folgen, verfolgen gebannt Stimme und Schatten, die nach ihnen greifen, sie jagen – just wie Frankenstein sein Monster jagt. Klischats Lesung zeigt, wie auf alle, die einen Funken Verständnis für Sprache, Literatur und deren Kraft besitzen, dieser Funke übergehen kann. Wie sie elektrisiert werden, genau wie Frankenstein, der vom göttlichen Funken berührt zu sein glaubt und mittels Elektrizität das Monster zum Leben erweckt, um – zu spät – seinen Fehler zu erkennen, ihn korrigieren zu wollen, nach der Vernichtung des Monsters trachtet und dabei selbst zu Grunde zu geht.

A. Seifert

Teilen